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Interview mit Iris Menzinger vom BRK-Kriseninterventionsteam in Erding
Quelle: Iris Menzinger
Iris Menzinger leitet das BRK-Kriseninterventionsteam in Erding. Das Team wird zu Einsätzen in den Landkreisen Erding, Freising, Ebersberg gerufen. Im Interview erzählt sie, welche Einsätze ihr Team miterlebt – und wie sie damit umgehen.
ED-live.de: Passieren Personenunglücke, so ist neben den Rettungskräften und der Polizei oftmals auch ein Kriseninterventionsteam (KIT) vor Ort. Welche Aufgaben haben Sie und Ihre Kollegen dort?
Iris Menzinger: Die Aufgabe der Krisenintervention im Rettungsdienst ist die Betreuung von Menschen, die nach einem traumatischen Ereignis unter starken seelischen Belastungen leiden oder unter einem akuten psychischen Schock stehen.
Allerdings nur, wenn diese nicht medizinisch körperlich versorgt werden müssen. Unser Anliegen ist es, in den ersten Stunden nach einem plötzlich auftretenden und besonders belastenden Ereignis Zeit für die Betroffenen zu haben und für sie dazu sein. Wir sind Ersthelfer für die Seele.
ED-live.de: Was ist als Erstes zu tun, wenn Sie mit Ihrem Team am Unfallort eintreffen?
Iris Menzinger: Zunächst versuchen wir uns einen Überblick über die gesamte Lage zu verschaffen. Das heißt: Was ist passiert, wie viele Personen sind betroffen, in welche Krankenhäuserwerden z.B. verletzten Personen hingebracht, wo und wie können wir die Betroffenen an einen ruhigen, geschützten Platz bringen und betreuen?
ED-live.de: Wie können sich unsere Leser die anschließende Betreuung, die psychische Notfallhilfe, genau vorstellen?
Iris Menzinger: Wir erklären den Betroffenen, wer wir sind und das wir in den nächsten Stunden für sie da sind. Die Betroffenen reagieren sehr unterschiedlich auf das Ereignis und so kann es z.B. sein, dass der Eine ein starkes Redebedürfnis hat, ein Anderer aber schweigt. Gerade Schweigen „auszuhalten“ ist für viele Ersthelfer schwierig. Für unser Team ist das kein Problem.
Diese Thematik ist Teil unserer Fachausbildung Die Betroffenen haben oft auch den Wunsch nach Informationen und sofern sie uns bekannt sind, geben wir diese in geeigneter Form weiter. Je nach Situation versuchen wir z.B. auch eine Verabschiedung von einem Verstorbenen zu ermöglichen und zu begleiten.
Alles findet in enger Abstimmung mit anderen Einsatzkräften statt, wie Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr und Bestatter. Wir können auch auf Notfallseelsorger zurückgreifen, die uns ebenfalls unterstützen.
Wir helfen den Betroffenen ihr soziales Umfeld zu aktivieren und erklären ihnen, dass es normal ist, sich nach einem außergewöhnlichen Ereignis nicht wohl zu fühlen und Veränderungen an sich zu erleben. „Normale“ Reaktionen auf ein „nicht normales“ Ereignis können ganz unterschiedlich sein.
Körperlich, z.B. Händezittern, Gefühl von weichen Knien, Atemschwierigkeiten oder Übelkeit als psychisch z.B. Unwirklichkeit der Situation, Wiedererleben des Geschehenen in Gedanken, Gefühle von Hilfslosigkeit, Selbstvorwürfe und Schuldgefühle.
Wir verweisen auch auf weitergehende Unterstützungen und hinterlassen im Bedarfsfall Informationsmaterial. Das ist nur eine kleine Zusammenfassung dessen, was wir in einer Betreuungssituation leisten. Unser Spektrum ist sehr vielfältig.
ED-live.de: Im Gegensatz zum Großteil der Bevölkerung erleben Ihre Mitarbeiter und Sie regelmäßig Extremsituationen und das hautnah. Wie lernt man, damit umzugehen, bzw. wie entwickelt man mit der Zeit eine gewisse Routine?
Iris Menzinger: Direkt nach dem Einsatz steht uns zunächst immer eine Kollegin oder ein Kollege zur Verfügung, mit dem wir über Einsatz sprechen können. Zudem lernen wir in unserer Ausbildung, wie wir mit belastenden Einsätzen umgehen. Mit der Zeit entwickelt auch jeder seine eigenen Strategien.
Wir nennen das Psychohygiene. Manche gehen spazieren, reden mit dem Partner darüber, gießen Blumen, trinken eine heiße Schokolade und und und. Unser Team spielt eine wichtige Rolle, und wir achten sehr auf den Zusammenhalt. Natürlich lernt man im Laufe der Jahre mit dem Thema umzugehen und es gibt routinierte Abläufe, aber ich sage immer: Wenn ich mich an das Thema Tod und Sterben „gewöhnt“ habe, dann höre ich auf.
Im Bayerischen Roten Kreuz gibt es zusätzlich Teams, die Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen betreuen (PSNV-E: Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte). Wir können uns jederzeit an diese Teams wenden.
ED-live.de: Gibt es ein oder zwei Einsätze, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Iris Menzinger: Die Beantwortung dieser Frage fällt mir schwer. Ich müsste die Einsätze zu sehr umschreiben, damit sich Betroffene nicht wiederfinden. Der Schutz unserer betreuten Personen hat absolute Priorität. Soviel kann ich vielleicht dazu sagen: Der Tod von Kindern ist immer eine besondere Herausforderung oder wenn es sich bei Betroffenen um Menschen handelt die man selbst kennt oder die Lebensumstände den eigenen sehr ähneln.
Hier immer die professionelle Distanz zu wahren, ist manchmal schwierig. Andererseits darf auch bei einem KriseninterventionsberaterIn mal eine Träne kullern….
ED-live.de: Mit welchen emotionalen Reaktionen werden Sie bei den Einsätzen konfrontiert?
Iris Menzinger: Es gibt wohl kaum eine Reaktion, die ein „Kitler“ noch nicht erlebt hat.
Trauer, Wut, Angst, Aggression äußern sich auf die unterschiedlichste Weise wie z.B. durch Schreien, Weinen, Ohnmacht, Sprachlosigkeit, Rastlosigkeit, Schockstarre.
ED-live.de: Leider kein Phänomen, sondern zunehmend Gang und Gäbe; in letzter Zeit häufen sich die Meldungen, in denen von gewaltsamen Übergriffen auf Retter berichtet wird. Mussten Sie und Ihr Team hierzu auch schon Erfahrungen machen?
Iris Menzinger: Wir sind dankbar, dass unser Team bisher von gewaltsamen Übergriffen verschont geblieben ist. Natürlich machen wir uns über dieses Phänomen auch unsere Gedanken und versuchen das Team durch gezielte Fortbildungen auf diese Situationen vorzubereiten.
ED-live.de: Welche Voraussetzungen werden für die Aufgabe eines Kriseninterventionsberater benötigt?
Iris Menzinger: Das Mindestalter ist 23 Jahre, ein stabiles soziales Umfeld, zeitliche Flexibilität, Teamfähigkeit und die Bereitschaft an regelmäßigen Fortbildungen teilzunehmen. Unabdingbar sind Empathie und soziale Kompetenz. In einem persönlichen Erstgespräch klären wir die Motivation, warum ein Interessierter diese ehrenamtliche Tätigkeit ausüben möchte.
Zum Schluss könnten Sie an dieser Stelle noch eine kurze Zusammenfassung Ihres beruflichen Werdegangs nennen und von dem Weg, wie Sie zum Erdinger KIT gekommen sind, erzählen.
Ich habe viele Jahre als Bestatterin gearbeitet und daher war mir das Kriseninterventionsteam natürlich bekannt. Eines Tages wurde ich vom damaligen Leiter gefragt, ob ich nicht selbst Mitglied in diesem Team werden möchte. Ich habe dann die Ausbildung zur Kriseninterventionsberaterin gemacht.
Das war vor mehr als 10 Jahren. Inzwischen arbeite ich hauptamtlich beim BRK in Erding in der Servicestelle Ehrenamt. So kann ich meine ehrenamtliche Tätigkeit gut miteinander verbinden, denn unser KIT ist ein Fachdienst des BRK.
Seit ein paar Jahren darf ich dieses Team auch leiten. Es ist eine wunderbare Aufgabe.